Von Bozen zum Rittner Horn
(jüh) Nach fünf herrlichen Sonnenschein-Tagen machten sich heute Morgen, wie angekündigt, die Regenwolken vor der Adria bemerkbar. Als ich an diesem Morgen den Balkon betrat, wusste ich schon, dass unsere heutige letzte Radtour ereignisreich und vor allem nass wird. Mein Zimmerkollege Jürgen Knapp entschied sich spontan, heute nicht mehr aufs Rad zu steigen. Stattdessen nahm er sich vor, die Gegend um Steinegg mit den Wanderschuhen zu erkunden. Nach dem Frühstück und dem obligatorischen Pressen und Trinken der Radlerbrühe, fuhren wir mit dem Auto zu unserem heutigen Ausgangspunkt, dem kleinen Ort Blumau im Eisacktal. Radlerbrühe = Äpfel + Möhren in eine elektr. Saftpresse stecken, „Ein-Button“ drücken, dann kommt ein höllischer Lärm und fertig ist die Radlerbrühe. Sie ist leistungssteigernd und neutralisiert den Alkohol im Blut. Gut gelaunt bei 20 °C begannen wir unsere Tour zum Rittner Horn in Richtung Bozen über den bekannten Radweg. Unser erstes Ziel erreichten wir schon nach 10 km, die Rittner Seilbahn Talstation. Im ersten Augenblick dachten wir, wir seien hier falsch. Die neue Talstation sah aus wie ein Grandhotel mit Teppichboden, Fahrstuhl und Türvorsteher, Luxus pur. Die Bahn auf das Rittner Horn war ursprünglich eine Zahnradbahn, wurde jedoch im Jahr 1966 durch eine Salerbahn (zu Deutsch Seilbahn) ersetzt, die bis zum Jahre 2007 im Einsatz war. Danach wurde die Bahn 2 Jahre lang renoviert. Heute bringt eine erneuerte 4.560 m lange und sog. Dreiseilumlaufbahn die Menschen von Bozen nach Oberbozen. In einer Kabine haben 35 Personen Platz. Die Kabinen sind so groß, dass man mehrere Fahrräder oder eine Kuh mitnehmen kann. Auf Teilstücken ist die historische Zahnradbahn noch in Betrieb. Nach 20 Minuten Salerbahnfahrt kamen wir in Oberbozen/Ritten auf 1.221 m ü.d.M an. Noch ein paar Fotos gemacht und dann kann es losgehen zum Rittner Horn 2.270 m ü. d. M.. Franz, unser Radtourenplaner, gab die Route in seine Garmin-Navi ein und übernahm die Führung. Unser nächstes Ziel ist die Kabinenbahn Pemmern (1.530 m), die auf die Schwarzseespitze (2.070 m) hinauffährt. Nach ca. 150 m kam schon das erste steile Teilstück, das zu bewältigen war. Die Tour ging weiter über die Perbetwiesen, sie führte hauptsächlich über Forststraßen und Waldwege, durch Latschen- und Zypressenwälder. Kurze Teilstücke erforderten etwas mehr Einsatz und Technik. Zwischendurch kam einmal die Frage an Franz, ob das der richtige Weg sei. Die Antwort lautete: „Ja, ja, Garmin weiß Bescheid.“ Mittlerweile wurde aus der Radtour eine Wandertour mit Rad. Teilweise mussten wir heftig schieben. Auch das schafften wir und kamen wieder auf die Asphaltstraße Richtung Riggermoos. Dann plötzlich, auf einer Lichtung, tauchten Kühe ohne Euter auf. Horst sah sie zuerst. Kühe ohne Euter mit langem Hals. Irgendwas passt hier nicht. Beim Heranfahren an die Tiere stellten wir fest, dass es sich um Lamas handelte. Lamas, eine ganze Herde, große und kleine in Südtirol! Das muss ein komischer Anblick gewesen sein, als wir mit unseren Bikes durch die Lamafarm geradelt sind. Mittlerweile verdunkelte sich der Himmel und aus allen Richtungen war Donner zu hören. Im Gunglwald fielen die ersten Regentropfen. Wir machten eine Rast und zogen unsere Regenjacken an. Wetterfrosch Franz meinte, dass Gewitter würde sich schnell verziehen. Kurz darauf wurde der Niederschlag heftiger und das Donnern hörte sich an, als hätte ein Düsenjet die Schallmauer durchbrochen. Ein ganz normales Sommergewitter in den Dolomiten. Stephan entdeckte am Wegesrand einen alten Heuschuppen, in dem wir Unterschlupf fanden. Der Heuschober war wohl so alt wie wir alle zusammen. Die Löcher im Dach waren größer als die gedeckte Fläche. Egal! Hauptsache wir fanden einen Wetterschutz. Gerhard Fritz konnte direkt den einzigen Stuhl ergattern. Die Anderen kuschelten sich an die Außenwände. Nach einigen Minuten hörten wir Stimmen hinter der Hütte. Zwei Radler, die auf der gleichen Tour unterwegs waren, probierten bei uns unterzukommen. Da wir gastfreundliche Menschen sind und in der kleinsten Hütte immer noch ein Platz frei ist, baten wir die Biker herein. Nach ca. ½ Stunde ließ der Regen etwas nach. Unsere Gäste erzählten uns, dass die Talstation Pimmern nicht mehr weit sei und es dort ein gutes Restaurant gäbe. Ohne lange zu überlegen, schnappten wir unsere Arbeitsgeräte und traten in die Pedale was das Zeug hielt. Nach einer nassen Bergauffahrt erreichten wir nach ca. 4 km das Berghotel „Zur Zirm“. Das war zu diesem Zeitpunkt unsere Rettung. Etwas durchnässt betraten wir das Berghotel. Horst unser Spezialist für süße Sachen, entdeckte sofort die Torten in der Auslage. Nach einem fachmännischen Blick war klar, dass wir hier richtig waren. Nach der Bestellung stand fast das ganze Kuchenbuffet auf dem Tisch. Dann wurde sich kräftig gestärkt. Mittlerweile war uns allen klar, dass es heute mit dem Blick über ganz Tirol vom Rittner Horn aus für uns nichts wird. Das Panorama vom Rittner Horn aus ist für jeden Alpinisten ein Muss. Kein Gipfel versperrt die Aussicht auf das 360 Grad-Panorama, das sich hier oben auftut. Besonders die Dolomiten, die sich in einem Bogen von Südosten aus bis in den Süden spannen, sind ein imposanter Anblick. Vom Pleiterkofel, Geißbergspitzen hin zum Schlern, weiter nördlich tun sich die Weiten der Sarntaler Alpen auf, dahinter liegen die Stubaier Alpen. An schönen Tagen lässt sich der Ortler ausmachen, und wer sehr viel Glück hat, erblickt im Osten sogar den Großglockner. Dieses Glück war uns nicht hold. Auf den Schlern, den bekannten Berg der Dolomiten, hatten wir den ganzen Tag einen herrlichen Blick. Das wars dann aber auch schon. Nach einer Stunde hörte es auf zu regnen. Wir beschlossen, mit der Pemmern-Kabinenbahn auf die Schwarzseespitze (2.070 m) zu fahren und unsere Tour fortzusetzen. Jürgen H. besorgte die Fahrkarte und Franz nahm schon einmal mit seinem Rad in einer Kabine Platz und wartete auf die Abfahrt. Die Zeit verging und es passierte nichts. Uns fiel auf, dass der Maschinist hektisch hin- und herlief. Nachdem Franz schon ca. 20 Minuten wie Kaiser Franz-Joseph in der Kabine saß und seine Kollegen wie Untertanen in der Kälte herumstanden, entschied sich Jürgen H., der Sache auf den Grund zu gehen. Er schnappte sich den Maschinisten und fragte, warum die Salerbahn nicht abfahre. Der Mitarbeiter zuckte kurz zusammen und gab freiwillig Auskunft. Der Blitz sei in den Generator der Bergstation eingeschlagen. Man sei dabei eine Umschaltung zu probieren. Da Jürgen H. vom Fach ist ging er davon aus, dass das heute nichts mehr wird und ließ sich den Fahrpreis wieder auszahlen. Nach dieser festgefahrenen Situation entschieden wir uns zum Rückzug. Franz wollte es nicht glauben, dass er aus seiner Kabine aussteigen musste und wieder aufs Rad steigen sollte. Er und sein Navi übernahmen wieder die Führung der Rückfahrt. Nach einer rasanten Abfahrt über die Asphaltstraße hielten wir in Klobenstein an, um uns neu zu orientieren. Stefan und Jürgen H. waren der Meinung, dass der Weg talabwärts Richtung Bozen kürzer wäre, aber Franz wich von seiner Garmin-Tour nicht ab. Das hieß für alle, nach Lengenstein und von dort nach Barbian ca. 18 km radeln. Da die Radwegkarte bei Jürgen Knapp im Rucksack steckte und wir sonst keine dabei hatten, mussten wir uns auf Franz verlassen. Also Klappe halten und weiter radeln. Der Radweg nach Barbian lag fast auf gleicher Höhe. Ab und zu waren kleine Hügel zu überwinden. Mit der Zeit merkte man in den Oberschenkeln, dass wir bereits 6 Tage unterwegs waren. Vorbei an Wein- und Kastanienhainen hatten wir letztendlich doch noch einen schönen Ausblick in die Dolomiten. Mittlerweile kam die Sonne durch die grauen Wolken und der Schlern zeigte uns sein bizarres Aussehen, was auch seinen Reiz hatte. Dann erreichten wir Barbian, das durch seinen schiefen Kirchturm – der scheinbar noch schiefer sein soll als der Campanile von Pisa -, bekannt ist. In diesem Dorf verbrachte Sigmund Freud immer seine Ferien. Von hier an ging es nun mit heißen Bremsen hinab ins Eisecktal, in das Dorf Klausen. Jetzt noch ca. 15 km über den neuen Radweg flussabwärts an der Eiseck entlang nach Blumau, dann hatten wir es geschafft. Uns war jetzt klar, dass dieses die letzten Kilometer der Radtour 2009 waren. Wir genossen die untergehende Sonne, die uns auf den letzten Kilometern ins Gesicht schien und das Eisecktal in einen goldenen Spätsommerfarbton tauchte, so als würde sich ein goldenes Band durch die Dolomiten ziehen. An den Autos angekommen, hatten wir trotz allem über 60 km heute zurückgelegt. Es war einmal wieder vollbracht. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge fuhren wir zurück in unser Hotel. Als wir Jürgen K. im Hotel entdeckten freuten wir uns, dass das Team wieder gesund vereint war. Trotz den verschiedensten Charakteren und den Problemen, die die Tour mit sich brachte, schweißte sich das Team zusammen wie Granit. So sollte es eigentlich immer im Leben sein.
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