„Marmolada“ die Königin der Dolomiten
(jüh) Die Marmolada ist ein Berg der Superlative, der höchste Berg der Dolomiten mit dem größten Gletscher und einer gigantischen Südwand. Die über den Westgrat führende Via Ferrata Mormolada (auch als Hans-Seyffert-Weg bezeichnet) ist außerdem einer der ältesten Klettersteige und gleichzeitig unser ausgesuchter Weg. Die Tour ist ein perfekter Mix aus Ferrata (Klettersteig) und Gletscherhochtour und eins der besten Genussabenteuer in den Dolomiten.
Ein Jahr hatten sich die Hochalpinisten der ssv-funbiker, Jürgen K., Franz R. und Jürgen H., auf diesen Tag vorbereitet. Im Wintertraining hatte Dipl.-Sportlehrer Franz das Team schon mit Krafttraining auf die Tour vorbereitet. Entsprechende Ausrüstung musste besorgt werden und genaue Informationen über die Marmolada mussten ausgewertet werden. Grundvoraussetzungen sind Kondition, Fitness und optimale Wetterverhältnisse. Die Tour kann nur bei sicheren Wetterverhältnissen durchgeführt werden. Ein Wetterumschlag kann am Westgrad fatale Folgen haben. Am Donnerstag, den 26.08.2010, war es so weit. Für diesen Tag war schönes Bergwetter vorausgesagt:
Bereits im Morgengrauen starteten wir mit dem Auto zum Fédaria-Stausee, unseren Ausgangspunkt. Ein kurzes Frühstück aus der Hand, die Ausrüstung noch einmal überprüft, danach machten wir uns auf den Weg zum Lift Pian die Fiacconi. Wegen der für heute angekündigten guten Fernsicht hatten sich auch andere Alpinisten kurz entschlossen auf die Marmolade zu steigen, was an den Parkplätzen sofort zu erkennen war. Mit einem Korblift fuhren wir bequem und luftig auf 2.626 m hinauf. Voller Spannung begann unser Weg um 8.45 Uhr Richtung Gipfel.
Zuerst ging es wieder 150 m bergab, dann recht steil steigend zum Vernel-Gletscher. Jetzt hieß es zum ersten Mal die Steigeisen anlegen. Das An- und Ausziehen der Steigeisen wurde an diesem Tag für uns zur Routine. Nach dem Überqueren des Gletschers, der schon ziemlich abgeschmolzen ist, erreichten wir den Einstieg des Klettersteiges an der Marmolada-Scharte. Am Einstieg zogen wir unsere Kletterausrüstung an, ab hier war auch mit Steinschlag zu rechnen. Das geschmolzene Eis hat die Steine freigelegt und gelockert. Die ersten 50 m im Einstieg sind glatt wie Blankeis, die Felsen sind vom Gletscher abgeschliffen. Wie so oft in den Dolomiten sind die Höhepunkte der Tour nicht auf dem Klettersteig zu finden, sondern ergeben sich durch das bewältigende Panorama. Besonders beeindruckend ist der Blick auf den Gletscher mit dem unterhalb liegenden Fédaria-Stausee zur linken und die 800 m hohe Südwand zur rechten Seite. Klettersteigtechnisch sind die Schwierigkeiten anspruchsvoll, aber nicht gefährlich. Wer die berühmt berüchtigte Westgrad-Tour und den höchsten Punkt erreichen will, sollte das Gehen eines Klettersteiges beherrschen.
Franz R. bringt jahrelange Erfahrung im Berg mit, Jürgen K. und Jürgen H. haben in den letzten Jahrzehnten schon einige Gipfel erstürmt und sich schon oft ein Sicherungsseil geteilt. Die drei Alpinisten bringen die notwendige Erfahrung für diese Tour mit. Schon der Einstieg in den Klettersteig des Westgrades liegt bei 2.910 m NN.
Erste Felsklammern führen uns an alten Kriegsstellungen aus dem ersten Weltkrieg vorbei. Über Leitern und Stahlstifte geht es über glatte Steinplatten und schmale Rinnen. Dieser sog. Seyffert-Weg bleibt meist auf der Nordseite des Grates. In dieser Passage ist man dem Wind voll ausgesetzt. Eine plötzlich auftauchende Windböe erfasste Jürgen H., der zu dieser Zeit frei auf einem Felsaufbau stand, gut gesichert war und dem Wind in der Brandung wie ein Fels trotzte. Das Wetter war an diesem Tag einfach herrlich, die Fernsicht war grandios und das Panorama überwältigend. Die eine oder andere Seilschaft zog an uns vorbei, was uns aber nicht weiter störte. Da wir gut in der Zeit lagen, bewunderten wir lieber das Panorama. Ab und zu fiel etwas von oben herab, so auch eine volle Trinkflasche eines Bergkameraden vor uns, die Franz auffing wie Oli Kahn und sie ihm später zurückgab. Über Klammern gelangen wir zu einem Stück Gelände mit einem schuttbedeckten Rücken, welcher zu einem Grat führte, dann von einer Nische in eine fast horizontale Querung in die Nordflanke, einige Seilpassagen aufwärts mit Hilfe von teils recht luftigen Klammerreihen über ausgesetzte Platten zum Westgrat. über den Westgrat mit kurzem Gegenabstieg zum Ende des Klettersteiges. Zu dieser Zeit mussten wir mit unserer Kraft schon haushalten und den Kohlehydratspeicher auffüllen. Die Höhe machte sich jetzt bemerkbar. Die letzen 200 m zum Gipfel führten uns über ein Geröllfeld zum Gletscher. Der Aufstieg war mühsam, ein Schritt, zweimal atmen.
Aber es war geschafft. Um 13.10 Uhr erreichten wir den Gipfel der Marmolada in 3.343 m Höhe. Wir waren etwas erschöpft aber stolz auf uns, als wir am Gipfelkreuz standen. Mit dem Bergsteigergruß „Berg heil“ gratulierten wir uns gegenseitig. Einige Italiener begrüßten sich mit einem Bruderkuss und küssten das Gipfelkreuz, soweit ging die Euphorie bei uns Funbikern aber nicht. Die Aussicht war einfach phantastisch, die Atmosphäre zeigte ein atemberaubendes Blau und die Sonne glitzerte wie ein Diamant am Himmel.
Es war ein besonderer Tag für die Marmoladabezwinger. Nach Aussage eines Bergführers gibt es nur 5 – 6 Tage im Jahr, die solch eine Fernsicht ermöglichen. Am Horizont war die Pala-Gruppe, Latemar, Rosengarten, Langkofel, Sella- und Ampezzaner-Dolomiten, Silvrettagruppe, Großvenediger u.s.w. zu sehen. So mancher erfahrener Alpinist stand hier oben allein in Gedanken und hatte ein paar Tränen in den Augen, ein unvergesslicher Moment.
Neben der kleinen Schutzhütte Campanna Punta Penia auf dem Scheitel der Marmolada machten wir eine relativ kurze Pause, bevor wir uns auf den Abstieg über den Gletscher vorbereiteten, schickte Jürgen K. noch ein Jodler in Richtung Seiser-Alm los, wo sich an diesem Tag der Rest der Funbiker aufhielt. Der Jodler verging in der Einsamkeit der Berge wie eine Pusteblume.
Zum Abstieg über den Gletscher mussten wir die Steigeisen anlegen und gegenseitig am Seil sichern. Die Herzfrequenz erhöht sich und das Adrenalin in unserem Körper stieg rasend an. Das Gehen auf einem so steil abfallenden Firn (stellenweise 50 %) ist nicht gerade ungefährlich, die Konzentration ist noch einmal hoch und jeder Schritt muss überlegt sein. Für drei Saarländer ist dies ja nicht alltäglich.
Wir folgten einer gut sichtbaren Spur über den Firngrat. Es ist eine atemberaubende Kulisse über den Gletschergrat ins Tal zu blicken und nur von den Steigeisen und deiner Seilschaft gehalten zu werden, ein unvergessliches Erlebnis. Am Ende des schmalen Firngrats „Schena de Mul“ mussten wir durch eine rampenartige Rinne 70 Klettersteig Höhenmeter absteigen zur eigentlichen „Ghiacciaio della Marmolada“.
Den Gletscher sollte man nur im Seilschaftverband überqueren, weil er mit vielen Spalten durchzogen ist. Franz R. ging vorne, Jürgen K. in der Mitte, sie kontrollierten den Weg nach Spalten und Jürgen H. sicherte die Seilschaft als letzter Mann. Jetzt folgte der Übergang auf den Gletscher und wir zogen vorsichtig über enge Spalten abwärts.
Von oben sehen die einzelnen Seilverbände aus, als würden Raupen auf dem Gletscher ins Tal rutschen.
Um 16.30 Uhr kamen wir am Rif. Plan die Fiacconi (2.626 m), Bergstation des Korbliftes an. Wir waren bester Stimmung, obwohl unser Leistungsvermögen zu diesem Zeitpunkt stark reduziert war.
Noch einmal blickten wir hoch über den Gletscher zum Felsaufbau bis hin zum Gipfelkreuz. Wir hatten an diesem Tag ein bergsportliches Abenteuer erlebt, dass sich, wenn überhaupt, so schnell nicht wiederholen wird.
Zufrieden und ausgeglichen fuhren wir zurück zu unserer Unterkunft, dem Steinegger Hof, wo auch schon das nächste Highlight auf uns wartete, ein schöner Grillabend mit dem Rest der Funbiker.
Bemerkung:
Von der bequemen Anreisemöglichkeit, dem Korblift, darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die Tour ein ernstes hochalpines Unternehmen ist. Gletschererfahrung, Kondition, gute Akklimatisierung und stabiles Wetter sind die Grundvoraussetzungen für die Begehung dieses Klettersteiges auf der Marmolada.
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ssv-funbiker (Samstag, 11 September 2010 08:47)
Hallo Jürgen,
beim Lesen deiner Zeilen war ich in Gedanken erneut bei unserer Tour zwischen Himmel und Fels. Gratuliere dir für diesen packenden bildhaften Bericht. Die Tour war auch für mich ein unvergessliches Erlebnis. Und was das Teilen eines Sicherungsseiles angeht, mit dir jeder Zeit wieder...
Gruß
Jürgen
Bernd (Donnerstag, 09 August 2012 12:00)
Toller Bericht, auch wenn dieser schon älter ist.